Camilla Frydan

Pianistin, Sängerin, Komponistin, Schriftstellerin, Musikverlegerin

Berlin, 30. August 1929

Vom Wunderkind zur Komponistin

Künstlerinnen-Porträt der Musikkoryphäe und Lebenskünstlerin Camilla Frydan
von Eva Leitner, Johanna Suppin und Isabelle Wirth

Unabhängigkeit in jeder Zelle ihres Körpers

„Ich brauch’ ein Mädel, das brav und tüchtig ist, was für den Haushalt doch riesig wichtig ist, ich brauch’ ein Mädel, das niemals sündigt und mir den Platz nicht täglich kündigt“, heißt es beschwingt komödiantisch in der Revue Die große Trommel. Komponiert wurde dieses Stück von Camilla Frydan, die wir heute in der Redaktion des von ihr im Vorjahr gegründeten Frydan-Verlagsin Berlin besuchen dürfen. Man merkt dieser Frau, die seit frühester Kindheit regelmäßig ihr musikalisches Können demonstriert, ihre Professionalität an ihrer stets aufrechten, anmutigen Haltung am Klavier an, die sie ebenso den Künsten entgegenbringt. Auch eine humorvolle Manier, die Welt zu betrachten, ist ihr zu eigen.

In ihrer Komposition Ich brauch’ ein Mädel aus dem Jahr 1925, für welche Frydan auch den Text verfasste, erzählt sie in leichtem Ton von der Suche eines frauenfeindlichen, alternden Junggesellen nach einer jungen Haushälterin aus seiner Perspektive. Scherzhaft skizziert sie das uns Frauen so vertraute Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem unangenehmen, lebensunpraktischen Herrn, der für die Instandhaltung seines Zuhauses eine junge Frau sucht. Diese soll, so seine Worte, reinlich arbeiten und reinlich leben, denn die dreckige Sünde komme ihm nicht ins Haus. Frydans Schlager macht sich beschwingt darüber lustig und plädiert fröhlich für die Unabhängigkeit von uns Frauen. Sie selbst strahlt mit jeder Zelle ihres Körpers Selbstbestimmtheit aus und zeigt, wie frei und frech die „moderne Frau“ leben kann.

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Früh übt sich

Bereits ihr ganzes Leben lang ist Frydan von künstlerischen Menschen umgeben, die vor allem in der Musik ihre Passion gefunden haben. Ihr Bruder ist der Librettist Ludwig Herzer, ihre Schwester Clotilde ist Pianistin und ihr Mann Oscar Friedmann ebenfalls Librettist und Schriftsteller. In diesem mit Kreativität aufgeladenen Umfeld musste es so kommen, wie es dann Ende 1901 schlussendlich kam: Mit vier Jahren begann Camillas Klavierunterricht am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde.

Nur ein Jahr später spielte sie im zarten Alter von nur fünf Jahren ihr erstes Konzert und legte so den Grundstein ihrer Karriere als Wunderkind. Denn sie beherrschte nicht nur das Klavierspiel, sondern ist auch ausgebildete Soubrette, die eigene Lieder komponiert und mit wortwitzigen Texten begleitet. Jetzt, mit Anfang vierzig, widmet sie sich neuen Aufgaben, zuletzt als Gründerin ihres eigenen Musikverlags in ihrer aktuellen Wahlheimat Berlin. Dieser neue Karriereschritt entstand im Anschluss an eine erfolgreiche Tournee durch Deutschland. Auf die Frage, in welche artistischen Bereiche sie weiter expandieren möchte, antwortet Frydan mit einem Lächeln.

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Die Rolle des Selbst

Dass Frydans Biografie ihren Blick auf die Dinge der Welt geprägt hat, ist unumstritten. Ist doch die gesamte Kunstbranche von Männern bestimmt. Die Musik und das Theater sind dort keine Ausnahmen. Frydan als Soubrette hat dort Platz, denn dieser Bereich benötigt die feine Zartheit der weiblichen Stimme und ein tieferliegendes Verstehen der Commedia dell’arte, welches eine gewisse Sensibilität erfordert. Frydan als Pianistin hat es da schon ein wenig schwerer, denn klavierspielende Hände gibt es viele, doch nur wenige Konzertflügel, an denen zarte Frauenfinger anstatt großer Männerpranken spielen dürfen. Frydan als Komponistin aber musste sich von klein auf ihren Platz in dieser Disziplin erkämpfen und immer wieder darin behaupten. Sie schafft es durch ihr Talent, ihren Biss aber auch ihre chamäleoneske Anpassungsfähigkeit, die neben all den anderen artistischen Titeln ihr auch den der Überlebenskünstlerin verleiht.

„Vor allem freue ich mich herzlich darüber, daß eine Frau diese Bühnensensation vollbracht hat! Endlich ist eine Frau in die Reihe der alles könnenden Männer getreten! Bravo!“ 

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Camilla Frydan, 1922

Camilla Frydan

geb. 3.6.1887 in Wiener Neustadt
gest. 13.6.1949 in New York

Camilla Frydan (geb. Herzl) wird am 3. Juni 1887 in Wiener Neustadt als Tochter des Bankangestellten Heinrich Herzl (?–1919) und seiner Frau Cäcilie (geb. Königsberger, ?–1928) geboren. Schon als Kind begeistert sie ihr familiäres Umfeld mit ihrem herausragenden musikalischen Talent. Doch ist sie mit dieser Gabe nicht allein, denn auch ihr älterer Bruder Ludwig (1872–1939) und ihre ältere Schwester Clotilde (1873–1946) gelten als vielfältig talentierte Musiker*innen. In den Jahren, in denen die Geschwister gemeinsam aufwachsen, beeinflussen sie sich auf produktive Weise. Mitten in einer Zeit der immer größer werdenden Nachfrage nach Klavierkonzerten darf das erst fünfjährige „Wunderkind“, wie viele Camilla nennen, im berühmten Ehrbarsaal im Herzen von Wien, ein „kunstsinniges und elegantes Publikum, das den schönen Konzertsaal füllte“ nachhaltig beeindrucken. Neben ihrer Grundschul- und Gymnasialausbildung erhält sie von ihrem Bruder Privatunterricht in Klavier, Musiktheorie, Harmonielehre und Kompositionslehre. Camillas Können ist bald so ausgeprägt, dass ihr der Bruder nichts mehr beibringen kann. Sie erhält 1901 zusätzlichen Klavierunterricht am Konservatorium vom geschätzten Pianisten Wilhelm Rauch, so wie auch Privatunterricht beim englischen Konzertpianisten John Charles Mynotti. Ihre Gesangslehrerin ist zu jener Zeit die Kammersängerin Marianne Brandt (1842–1921).

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Bald besser bekannt unter ihrem Pseudonym Camilla Herzer gelingt es ihr, als eine der wenigen Frauen im Musikbereich große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch ihr Ruf, das Publikum stets zu begeistern, wann immer Camilla als Pianistin und Sängerin auftritt, verschafft ihr große Anerkennung und bringt ihren beruflichen Durchbruch. So wird sie im Jahr 1907 im komischen Rollenfach der Soubrette ans Raimund Theater engagiert, anschließend an die Neue Wiener Bühne und das Kabarett Fledermaus. Dort lernt sie Egon Friedell (1878–1938) und seine Mitstreiter*innen kennen, darunter dessen Bruder Oscar Friedmann. Die beiden heiraten 1910; nach der Hochzeit komponiert sie fortan unter dem Pseudonym Frydan. Im Jahr darauf wird ihr gemeinsamer Sohn Hans Henry geboren. Die künstlerische Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann ist ein großer Erfolg, Oscar Friedmanns Tod im November 1929 bedeutet jedoch eine völlige Neuorientierung im Leben Frydans. Sie zieht aus beruflichen Gründen nach Berlin, wo Frydan zahlreiche Revuen für kleinere Theater der Stadt kreiert. 1937 kommt sie nach Österreich zurück, da sie als Jüdin in NS-Deutschland bedroht ist. Nach dem „Anschluss“ 1938 wird auch Wien lebensgefährlich, Frydan gelingt 1939 die Flucht in die Schweiz, wo sie ein paar Monate bleibt. Von dort aus schafft sie es, ein Einreisevisum für die USA bekommen. Bis zu ihrem Tod am 13. Juni 1949 lebt Frydan in New York. Sie hinterlässt etwa 500 einzeln komponierte Musiknummern.

Was bleibt?

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Nur zwei Jahre nach ihrer Rückkehr von Berlin nach Wien 1937 wurde Camilla Frydan im März 1939 von der Nazi-Besatzung zur Flucht gezwungen. Ihr Schwager Egon Friedell stürzte wenige Tage nach dem „Anschluss“ aus dem Fenster seiner Wohnung, als SA-Männer diese stürmten. Camilla und ihrem Sohn gelang es 1939, in die Schweiz zu emigrieren. Dort lebten sie ein Jahr in Zürich, Frydan komponierte die Symphonie In the dark of the night.

Der Tod ihres Bruders Ludwig führte schlussendlich dazu, dass Frydan in die USA auswanderte. Zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Sohn Hans erreichte sie im November 1939 New York. Dort gründete sie nicht nur 1945 den Verlag Empress Music Publishing, sondern veröffentlichte auch einige eigene Kompositionen, mit denen sie schnell Popularität erlangte. Frydan werden um die 500 Einzelnummern zugeschrieben. Sie hatte nicht nur mit ihren zahlreichen Kompositionen Erfolg, sondern auch als Unternehmerin in der Musikbranche. Bis zu ihrem Tod 1949 in New York arbeitete sie als Verlegerin.

Trotz eines neuen, erfolgreichen Lebens in den USA, ließ sich die Vergangenheit in Wien nicht einfach so vergessen, und es kam zu einem Kampf um das Erbe ihres Schwagers Egon Friedell. Als Erbberechtigter galt Hans Henry – der Sohn Camillas.

Er war Filmschauspieler und bezahlte die Kosten für die Beerdigung seines Onkels Egon und seiner Großmutter Caroline Trisch. Es gelang nach 1945 jedoch erst nach langen, zermürbenden Auseinandersetzungen, ihn als rechtmäßigen Erben des hinterlassenen Vermögens anerkennen zu lassen. Zahlreiche Dokumente und Briefe in Korrespondenz zwischen New York und Wien im Nachlass Camilla Frydans belegen dies. Hintergrund war offenbar der von Friedells ehemaliger Haushälterin, Frau Kotab, sowie deren Ehemann und Mutter begangene Raub des in der Wohnung verbliebenen Besitzes. In einem Brief beschreibt Camilla Frydan die drei als „fanatische Nationalsozialisten“.

Der in den Korrespondenzen erhalten gebliebene Kampf um das Erbe zeigt auf, wie der Nationalsozialismus nach 1945 weiterwirkte und Täter*innen wie die Kotabs lange Zeit von der Justiz unbehelligt blieben.

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