Schwestern Richter

Theaterwissenschaftlerin, Anglistin, Romanistin, Universitätsprofessorin

Wien, 10. Oktober 1931

Zu Gast im Cottage – Weimarerstrasse 83:

Treffpunkt der Intellektuellen, Kunst- und Theaterbegeisterten, der Feministinnen, der denkenden Frauen und Männer!

Unsere Reporterin Birgit Peter besuchte den legendären Salon der
prominenten Wiener Schwestern Helene und Elise Richter

Der Salon der Richter-Schwestern

In den Jahren vor dem großen Krieg war das Haus in der Carl-Ludwig-Gasse 69, heute die Weimarerstraße 83, Treffpunkt der gelehrten und künstlerischen Prominenz. Hier, in dem geschmackvollen von Elise Richter selbst entworfenen Neubau im Cottage, diskutierten wöchentlich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie die Frauenrechtlerinnen Rosa Mayreder und Marianne Hainisch mit der feinsinnigen Komponistin Maia von Kralik und den strengen Musikkritikern Richard von Kralik (ihr Ehemann und auch Komponist) sowie Max Kalbeck. Selbstverständlich war auch der unvergessene Mime und Direktor des Burgtheaters, Hugo Thimig, zu Gast, mit dem Helene die Liebe zu den historischen Artefakten dieser Weltbühne teilte, sowie der leider im Frühjahr verstorbene klassische Philologe Hans von Arnim, dessen Kenntnisse von Aristoteles und Euripides zu faszinierendem Gedankenaustausch anregten.
Gaya Scienzia! Die fröhliche Wissenschaft verkörpern diese außergewöhnlichen Schwestern. Helene, die im Sommer ihren 70. Geburtstag feierte und die vier Jahre jüngere Elise, sie zeigten uns Frauen, dass wir keine Scheu haben sollen, uns die Tempel der Wissenschaft und Kunst zu erobern.

Elise Richter

Wer hätte vor dreißig Jahren gedacht, dass in der ehrwürdigen Universität Wien eine junge Doktorin ihre Habilitationsschrift für romanische Philologie einreichen würde und heute das Phonetische Institut leitet? Elise Richter inspirierte uns dazu, uns nicht von männlichen Stimmen entmutigen zu lassen, die meinten, eine Frau als Professorin wäre den Studenten nicht zumutbar! Noch darf sie den Titel einer Universitätsprofessorin nicht führen, obwohl sie dieselbe Arbeit macht wie ihre Kollegen, noch wird sie nicht für ihre Lehre bezahlt, doch wir vertrauen den fortschrittlichen Kräften in unserem Land, dass ihr spätestens zu ihrem 70. Geburtstag die ordentliche Universitätsprofessur verliehen wird.

Helene Richter

Unsere Burgtheaterbiografin! Helene Richters Buch Unser Burgtheater – kurz vor Ende des schrecklichen Krieges geschrieben – half uns, an die Zukunft dieser geliebten Bühne, die für die Liebe zu diesem Wien steht, zu glauben. Die so universelle Gelehrte Helene – Anglistin, Theaterhistorikerin, Biografin der größten Schauspielkünstler wie des unvergessenen Josef Lewinsky und des noch immer so betrauerten Nervenschauspielers Josef Kainz – ist endlich gewürdigt: Bürgerin ehrenhalber der Stadt Wien, zweifach mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, von der Universität Erlangen und der Universität Heidelberg! Mehr als verdient mag sich Helene Richter, umgeben von ihrer auserlesenen Theaterbibliothek, noch vielfach ihren Forschungen zu Shakespeare, George Eliot, der englischen Frauenbewegung und was immer noch ihr Herz und Verstand erstrebt, hingeben und uns beglücken.

Mögen die schwierigen Zeiten bald vorüber sein, die das Leben der berühmten Schwestern, so wie jenes der meisten von uns, karger werden ließen. Doch auch heute ist die Türe stets offen für gelehrte, feinsinnige Freundschaften, die den Mühen des alltäglichen Existenzkampfs mutig die Stirne bieten. 

„Die beiden Schwestern haben sich symbiotisch ergänzt. Die eine kann nicht ohne die andere analysiert werden. Zu verwoben sind ihr Schaffen und Leben. Sie bildeten eine Diskussionsgemeinschaft und funktionierten als Einheit.“

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Robert Tanzmeister, Romanist

Helene Richter

geb. 4.8.1861 in Wien
gest. 8.11.1942 im Konzentrationslager Theresienstadt

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Elise Richter

geb. 2.3.1865 in Wien

gest. 21.6.1943 im Konzentrationslager Theresienstadt

„Sie haben emanzipiert und selbstbestimmt zusammen gelebt, wollten sogar gemeinsam ein Kind adoptieren.“  

Thierry Elsen, Romanist

Helene und Elise Richter werden in eine großbürgerliche, assimilierte jüdische Familie hineingeboren.

Sie sind die Töchter von Emilie Richter (geb. Lackenbacher, 1832–1889) und Maximilian Richter (1824–1890), Chefarzt der Südbahn-Gesellschaft Wien–Triest. Da Frauen zu jener Zeit ein akademischer Zugang zur Bildung verwehrt ist, werden die Schwestern im elterlichen Haus, in dem Kultur, Erziehung und Bildung einen hohen Stellenwert einnehmen, zunächst privat unterrichtet. Während sich die ältere Schwester Helene später autodidaktisch weiterbildet und als Gasthörerin die Universität Wien besucht, ist es der vier Jahre jüngeren Schwester Elise möglich, als erste Frau am Akademischen Gymnasium in Wien die Matura zu absolvieren.

Elise wird daraufhin an der philosophischen Fakultät der Universität Wien zugelassen, wo sie als erste Frau 1905 habilitiert. Anschließend lehrt sie – abermals als erste Frau – an der Universität Wien Sprachwissenschaft und Phonetik. Während Elise also einen akademischen Werdegang in der Lehre und Forschung zur romanischen Sprachwissenschaft, Literatur und Phonetik einschlägt, wählt Helene einen Weg abseits der Universität. Sie macht sich stattdessen als Übersetzerin, Anglistin, Kritikerin und Theaterhistorikerin einen Namen und ist eine der bekanntesten Theaterintellektuellen von Wien. Zu ihren Werken gehören die zweibändige Geschichte der englischen Romantik sowie ihre Monografien zu bedeutenden englischen Dichter*innen wie William Blake und George Eliot. Auf dem Gebiet der Theaterwissenschaft ist sie als Expertin für das Burgtheater bekannt. 1918 erscheint Unser Burgtheater, 1926 die Festschrift Josef Lewinsky und ihre Biografie über Josef Kainz (1858–1910). Das dreibändige Werk Die drei großen Tragödinnen des Burgtheaters im 19. Jahrhundert ist leider nur als Typoskript vorhanden. 1931 wird Helene Richter jeweils das Ehrendoktorat der Universitäten Heidelberg und Erlangen verliehen und sie wird zur Ehrenbürgerin der Stadt Wien ernannt.

Mit dem Erbe der früh verstorbenen Eltern ist es den Schwestern möglich, zahlreiche Reisen durch Europa und Nordafrika zu unternehmen und gemeinsam ein Haus in Wien Döbling zu erwerben, in dem sie auch bis zu ihrer Deportation Seite an Seite leben.
Dort findet auch regelmäßig einer der letzten Wiener Salons statt, wo bedeutende Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft zusammenkommen.

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Nach dem März 1938 wird Elise Richter zwangspensioniert und ihre Bezüge eingestellt, wodurch die Schwestern mittellos werden. Außerdem werden sie dazu verpflichtet, die „Judenvermögensabgabe“ zu entrichten, wodurch ihre Not noch größer wird und sie gezwungen sind, Teile ihrer wertvollen Bibliothek zu verkaufen. Dies wiederum führt dazu, dass ihnen von der Universitätsbibliothek Köln unter Mitwirkung der Österreichischen Nationalbibliothek die gesamte Sammlung abgenommen wird. Im März 1942 werden die Schwestern zum Umzug in das jüdische Altersheim in der Seegasse gezwungen und im Oktober in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort verstirbt Helene noch im November desselben Jahres und Elise im Juni 1943 aufgrund der entsetzlichen Lebensumstände des Lagers.

Was bleibt?

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Am 10. März 1942 wurden die Schwestern Helene und Elise Richter aus der Wohnung in ihrem ehemaligen Haus in Döbling in das jüdische Altersheim in der Seegasse 16 im neunten Bezirk zwangsumgesiedelt. Nur sieben Monate später, am 9. Oktober 1942, wurden sie vom Wiener Aspangbahnhof mit 1.300 anderen Verfolgten ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort wurde Helene nach nur sechs Wochen, am 8. November, für tot erklärt, die Todesursache laut Todesfallanzeige: Darmkatarrh. Elise überlebte noch weitere acht Monate die grausamen Umstände der Unterernährung, der Krankheiten und der seelischen Qual. Sie wurde am 21. Juni 1943 für tot erklärt und als ihre Todesursache erfolgte ebenfalls die Angabe Darmkatarrh sowie eine Lungenentzündung.

Bereits im November 1938 mussten die Richter-Schwestern Teile ihrer Bibliothek verkaufen, da beide Frauen als Jüdinnen aus ihrem Erwerbsleben gedrängt wurden und sie keinerlei Einkünfte mehr hatten. Zudem lehnten die betagten Schwestern die Auswanderungsunterstützung der „International Federation of University Woman“mit dem Argument „alte Bäume verpflanzt man nicht“ ab. Sie versuchten also mit allen Mitteln, wenn auch isoliert und drangsaliert, in ihrem geliebten Wien zu bleiben. Daher verkauften sie hundert der wertvollsten Bücher ihrer Bibliothek, um die „Vermögensabgabe“ bezahlen zu können. „Es war der erste Leichenwagen, der sie fortführte“, schreibt Elise Richter in ihrem ersten Brief nach Köln am 24. August 1941. Nach der Übersendung der Werke an die Bibliothek kam es allerdings zu keiner Zahlung an die Richter-Schwestern. 

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Obwohl Helene Richter zu ihren Lebzeiten als die erfolgreichere Schwester galt, gibt es heute nur noch wenige Spuren, die an die Theaterwissenschaftlerin erinnern. An Elise Richter wird dagegen seit den 1980er Jahren als erste habilitierte Frau der Universität Wien erinnert: Etwa mit dem Richter-Tor in der Alserstraße sowie einem nach ihr benannten Hörsaal, einem Denkmal im Arkadenhof der Universität Wien und einem Stipendium für sich habilitierende Frauen des Österreichischen Forschungsförderungsfonds. Engagierten Frauenforscherinnen ist es zu verdanken, dass die 1940 verfassten Lebenserinnerungen von Elise Richter unter dem Titel Summe des Lebens 1997 veröffentlicht wurden. Das Haus in der Weimarerstraße 83 steht bis heute, weder ein Stolperstein noch eine Gedenktafel erinnert dort an die Schwestern.