Wien, 26. September 1929

ENGAGIERT UND EMANZIPIERT
Maria Gutmann feiert Erfolge als Theaterregisseurin

Ein Porträt verfasst von unserer Reporterin Magdalena Knor

In der lokalen Szene ist sie wohlbekannt und für die Theaterwelt geradezu unentbehrlich: Maria Gutmann ist von den Wiener Theaterbühnen nicht mehr wegzudenken. Als Schauspielerin hat sie in diversen Rollen brilliert – nun tut sie dies auch hinter der Bühne: als erste österreichische Regisseurin!

Wir sind gemeinsam mit ihr durch ihre Grätzln Spittelberg, Siebensternviertel und Laudonviertel spaziert und haben uns von ihrer bisherigen Theaterkarriere, von ihrem 30. Geburtstag und von ihren Plänen für die nahe Zukunft erzählen lassen.

Die Leichtigkeit macht’s

Begonnen hat alles in Graz – dort ist sie mit neunzehn Jahren zum ersten Mal als Schauspielerin auf einer Theaterbühne gestanden. Mit Talent, Begeisterungsfähigkeit und Lust reichlich ausgestattet, verschlägt es Gutmann bald nach Wien, wo sie nach kurzer Zeit Engagements als Schauspielerin am Raimundtheater und am Deutschen Volkstheater erhält.

Die Kunstschaffende erzählt mit einer Leichtigkeit von ihrem Karrierepfad hinter der Theaterbühne: Immer mehr Vertrauen sei ihr entgegengebracht worden, nachdem sie unter Theaterdirektor Dr. Rudolf Beer durchaus spontan und erfolgreich ein Goethe-Stück habe einstudieren müssen. Mit wenig Aufwand sei es ihr gelungen, ein „leichtes, schwankartiges Lustspiel“ daraus zu machen und sie habe bald ihre Freude an der Regie erkannt. Mit der Zeit hat sich Gutmann theoretische wie praktische Grundkenntnisse dafür angeeignet und einen persönlichen Stil ausgebildet.

Gutmann zufolge bekomme man zunehmend ein Gefühl für das, was das jeweilige Stück an Regiearbeit benötige. So habe ihr das besagte Gefühl auch gezeigt, was für Revolte im Erziehungshaus – das Theaterstück, mit dem sie nun ihr offizielles Regiedebüt gab – erforderlich war und ist: „[...] naturnahes, unverkünsteltes und von jeder Intellektualität fernes Spiel“. Und wieder hat Gutmanns Sinn für Leichtigkeit Erfolg gehabt.

An Schwung und an Kraft nicht ruhen

Maria Gutmann strahlt Engagement aus, das weder aufopfernd noch egoistisch ist. Sie positioniert sich klar und weiß um ihr Potenzial – genauso wie ihr Umfeld.

Anlässlich ihres runden Geburtstages vor zwei Monaten – nachträglich: Herzlichen Glückwunsch! – bekommt sie von ihrem Künstlerkollegen Otto Rudolf Schatz und dem Architekten Franz Schacherl einen personalisierten Holzschnitt überreicht, der ihrer Person, ihrer Energie und ihrer vielfältigen Theatertätigkeit gewidmet ist. Dieses Gedicht wollen wir Ihnen – werte Leserschaft – nicht vorenthalten:

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FÜR MARIA GUTMANN ZUM GEBURTSTAG 11. JUNI 1929. / MARIA VOLLER GNADEN DU SAKRALE / DEIN LEBEN GLEICHET DER SPIRALE / AN SCHWUNG NICHT RUHEN UND AN KRAFT / WIE EINES ZEBRAS LEIDENSCHAFT / WAHNSINNIG IST DEIN TEMPO FÜLLHORN DER NATUR / DIE SCHNECKE GEHT ZU FUSS, DU FÄHRST IM AUTO NUR / DAS TAUSENDFÄLTIGE LEBEN, LIEBE – SCHULD UND SÜHNE / GAB DICH DER GANZEN WELT HIN – UND DER BÜHNE / GESUNDE LUNGEN KRAFT UND WUCHT SCHÜTZT DICH VOR APICITIS / NUR EINE KRANKHEIT MANCHER VERFLUCHT DEINE TELEPHONITIS / DER TAG IST VIEL ZU KURZ, ZU RASCH VERRINNT DIE ZEIT / WIE VIELES MACHST DU ABER NICHT BEI DIESER GELEGENHEIT / DEIN SCHWUNG REISST HIN UND AUF DER LIEBEN SPRECHCHORKINDER / GEMÄUL UND HIRN – DIE HERZEN AUCH NICHT MINDER / REGIE IST ALLES ! – WIE MAN ES EINTEILT GEHT ES AUS / UND ABENDS GIBTS „REVOLTE IM ERZIEHUNGSHAUS“ / MARIE BLEIBE UNS ERHALTEN / DIE ARCHITEKTEN, DICHTER, MALER SUCHEN PLATZ / IN DEINES WARMEN HERZENS GUTEN FALTEN / FRANCISCUS SCHA. UND OTTO RUDOLF SCHATZ

Das Älterwerden bereitet Gutmann im Übrigen keine Sorge – im Gegenteil: Sie freut sich auf ihr weiteres Tun und Wirken am Raimund Theater sowie am Deutschen Volkstheater. Sie verrät uns, dass sie am letztgenannten schon bald als Oberspielleiterin der Märchenvorstellungen agieren wird. Außerdem geht ihr Engagement für die Sozialdemokratische Kunststelle Wiens weiter, wo sie die Studiobühne – Die junge Bühne unterstützt.

Gutmann macht aus ihrer fortschrittlichen politischen Haltung kein Geheimnis und geht – auch hier mit einer Leichtigkeit – den unkonventionellen und oft unbequemen Weg, gesellschaftlich relevantes sowie sozial engagiertes Theater zu machen. Wir wünschen ihr auch hier: toi, toi, toi!

„Wie man Regisseurin wird, möchten Sie wissen? [...] Das ging ganz allmählich und anfangs gar nicht nach einem richtigen Plan.“

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Maria Gutmann, 1929

Maria Gutmann

geb. 11.6.1889 in Graz
gest. 19.2.1963 in Zürich

Maria Adele Gutmann wird am 11. Juni 1889 in Graz geboren und ist ebenso unter den Namen Guttmann, Horch sowie Hershman bekannt. Die österreichische Bühnenschauspielerin und Dramaturgin ist eine der wenigen Frauen, die in der Zwischenkriegszeit am Theater tätig sind.

Ihr Schauspieldebüt gibt Gutmann 1908 in Graz, wo sie zu dieser Zeit auch lebt. In der Zwischenkriegszeit fasst sie als Regisseurin Fuß – sie gilt als die erste österreichische Regisseurin überhaupt. Später ist sie als Schauspielerin in Wien tätig, in den Jahren 1922–1926 am Raimund-Theater, wo sie 1929 auch ihr Regiedebüt gibt. In der Spielzeit 1926/27 sowie 1929–1934 wirkt sie am Deutschen Volkstheater und agiert dort 1932/33 als Oberspielleiterin der Märchenvorstellungen. Innerhalb Wiens zieht Gutmann des Öfteren um, bleibt aber dabei ihren Grätzln Spittelberg und Siebensternviertel sowie Laudonviertel treu.

Gutmann engagiert sich für die Sozialdemokratische Kunststelle in Wien, die unter anderem auch die Studiobühne – Die junge Bühne, eine Talentschmiede für Nachwuchskünstler*innen, unterstützt. Dort ist sie bestrebt, gesellschaftlich relevantes sowie sozial engagiertes Theater zu machen, was der damaligen Konvention im klassischen Kulturbetrieb widerspricht. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich emigriert Gutmann zunächst nach Frankreich, dann in die USA, wo sie sich unter dem Namen Maria Hershman in New York niederlässt und auf vielfältige Weise in der Theaterszene aktiv ist.  1945 heiratet sie dort den Autor und Dramaturg Franz Jakob Horch (1901–1951), mit dem sie die von Horch gegründete Literaturagentur führt und namhafte Autor*innen – u.a. Thomas Mann (1875–1955), John Dos Passos (1896–1970), Arthur Schnitzler (1862–1931), Robert Musil (1880–1942), J. D. Salinger (1919–2010), Upton Sinclair (1878–1968), Max Reinhardt (1873–1943), Franz Werfel (1890–1945) und Klaus Mann (1906–1949) – vertritt.

Gutmann nimmt den Namen ihres Mannes an und ist fortan als Maria Horch bekannt. Nachdem sie 1946 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hat, kehrt sie immer öfter nach Europa zurück. Maria Gutmann stirbt am 19. Februar 1963 an den Folgen eines Schlaganfalls in der Zürcher Klinik Hirslanden.

Was bleibt?

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Maria Gutmann starb am 19. Februar 1963 an den Folgen eines Schlaganfalls in der Zürcher Klinik Hirslanden. Während ihre Biografie von Erfolgen gekennzeichnet und von Turbulenzen geprägt war, geriet sie in der Gegenwart zu Unrecht in Vergessenheit.
Ein Erfolg jagte den nächsten, als Maria Gutmann als Theaterschaffende in Wien wirkte und arbeitete. 1936 erfolgten erstmals Angriffe auf ihre künstlerische und politisch links angesiedelte Arbeit wie auch auf ihre Tätigkeit in der sozialdemokratischen Jugendorganisation. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich im März 1938 sah sich Gutmann zur Emigration gezwungen, wobei sie mit verändertem Nachnamen – Herschmann – noch am 15. Juli 1938 die Vermögensanmeldung, die der „Judenvermögensabgabe“ im Folgejahr voranging, unterzeichnete.
Frankreich bot ihr vorübergehend Exil.

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Aufgrund des Vorrückens der Wehrmacht ließ sie sich zum Jahresende 1940 in New York – nun offiziell als Maria Hershman – nieder, wo sie wieder in der Theaterbranche wirkte. Nach der Eheschließung erhielt die schlussendlich unter dem Namen Horch bekannte Theaterschaffende 1946 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Mit Kriegsende kehrte sie erstmals wieder und ab dem Tod Franz Horchs dann regelmäßig nach Europa zurück.

Es scheint fast so, als hätte Maria Horch in New York – einer Stadt, die völlig verschieden von den ihr bekannten Städten Graz, Wien und Paris war – die Chance gewittert, eine großartige Kunst- und Kulturschaffende zu werden. Was sie in Angriff nahm, hat nicht nur Erfolg versprochen, sondern ging mit einer stark ausgeprägten Loyalität ihrerseits einher. Korrespondenzen zwischen Theaterkolleg*innen, Freund*innen sowie Autor*innen, die sie international vertrat, waren von einem stets vertrauten Ton gekennzeichnet. Selbst nach dem Krieg kehrte sie dem zerrütteten Mitteleuropa nicht den Rücken und blieb ihren Wurzeln treu.

Maria Gutmann, Maria Hershman, Maria Horch: Hinter all diesen Namen steckte ein und dieselbe Person, wenn auch in unterschiedlichen Funktionen und Berufen. Dies ist ein Aufruf, nicht noch einmal den Fehler zu machen, sie in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern sie vielmehr in all ihren Facetten zu erinnern; und zwar mit einer Leichtigkeit ähnlich jener, die sie zu ihrer Zeit mit sich getragen und ausgestrahlt hat.