Wien, 5. Oktober 1923

Ein Dramaturg bei seiner Arbeit

Hinter den Kulissen des Deutschen Volkstheaters
mit Heinrich Glücksmann

Unsere Reporterin Isabelle Wirth führt uns hinter die Kulissen
des Deutschen Volkstheaters mit Heinrich Glücksmann

Unsere Reporterin Isabelle Wirth besuchte den Dramaturgen Heinrich Glücksmann im Deutschen Volkstheater, um ihm bei seiner Arbeit über die Schultern zu blicken, ihm zu seinem 60. Geburtstag zu gratulieren und mit ihm über seine Tätigkeit als Förderer aufstrebender Talente zu sprechen

Die Hinterbühne

Wir treffen Heinrich Glücksmann auf der Hinterbühne, wo er gerade eine Besprechung mit den Schauspielern beendet hat und nun ordentlich seine Aufzeichnungen sortiert. Anhand der natürlichen Art, mit der er sich hier bewegt, kann man zwei Sachen ableiten: Erstens dürfte er das Theater so gut kennen wie seine Westentasche. Zweitens scheint er mit diesem fast zu verschmelzen und untrennbar mit ihm verbunden zu sein. Glücksmann ist Theatermensch durch und durch. Gerade deshalb ist seine berufliche Biografie umso eindrucksvoller. Denn er schreibt nicht nur eigene Dramen, sondern arbeitet gleichwohl als Journalist für verschiedene Zeitungen. Die größte Ausnahme in dieser Branche war vermutlich seine Tätigkeit Anfang der 1880er Jahre für ein Hausfrauenmagazin, für welches er eine weibliche Erzählstimme erschuf. Diese Arbeit kann man als Beweis für seine vielseitigen Talente ansehen. Glücksmann arbeitet nicht nur für das Theater und für Zeitungen, sondern widmet sich auch gelegentlich der Filmbranche. 

Mozarts Leben, Lieben und Leiden

Vor zwei Jahren erschien der hoch beworbene Spielfilm Mozarts Leben, Lieben und Leiden von Regisseur Otto Kreisler, für den Glücksmann das Drehbuch verfasste. Das war allerdings nicht sein erster Exkurs von der Theaterbühne zur Leinwand. Bereits im Jahr 1918 schrieb er das Drehbuch zu So fallen die Lose des Lebens, ein Stummfilm-Melodram, bei dem Friedrich Rosenthal Regie führte. Aktuell widmet er seine Zeit anderen Projekten, erzählt er uns im Gespräch. Egal was passiert, wir können gespannt bleiben, mit welchem künstlerischen Werk Glücksmann uns als Nächstes beglücken wird. 

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Der 60. Geburtstag

Im Zuge seines 60. Geburtstags, der im Juli des heurigen Jahres stattfand, kann Glücksmann auf eine lange, abwechslungsreiche und vor allem erfolgreiche Karriere zurückblicken. Nicht nur wir gratulierten ihm zu seinem Ehrentag, sondern auch viele seiner Bekannten, deren Namen dem einen oder anderen sicher geläufig sind. Alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, deshalb nennen wir hier nur drei als Stellvertreter – den Schriftsteller Alfred Klaar, den Dichter Max Mell und Glücksmanns nicht minder talentierte Dramatikerkollegin Else Feldmann. Ein weiterer Gratulant war der Schriftsteller und Dramatiker Arthur Schnitzler, dem Glücksmann als Förderer, Kritiker und Freund stets zur Seite steht. 

Ein Schatzmeister der Erinnerungen

Glücksmann fördert nicht nur talentierte Zeitgenossen, sondern hilft auch dabei, das Andenken vor derer zu bewahren, die bereits von uns gegangen sind. So sprach er beispielsweise auf dem Begräbnis seines Freundes, des Schauspielers Josef Kainz, und gedenkt seiner weiterhin. Er fällt demnach nicht nur durch seinen Fleiß und sein künstlerisches Werk auf, sondern auch durch sein humanitäres Schaffen. Im Sinne der Menschlichkeit möchte man hoffen, dass Glücksmanns Arbeit auf uns alle abfärbt.  

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„Da ich daran gehe, in Rückschau auf den zurückgelegten Lebensweg zu berichten: wie ich zum Theater kam, dämmert mir plötzlich die Erkenntnis, daß eigentlich das Theater zu mir kam.“ 

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Heinrich Glücksmann, „Wie ich zum Theater kam“,
Neue Illustrierte Zeitung, 20.7.1924 

Heinrich Glücksmann

geb. 7.7.1863 in Rakschitz

gest. 1.3.1943 in Buenos Aires

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Heinrich Glücksmann wird am 7. Juli 1863 in Rakschitz, Mähren unter dem Namen Hermann Heinrich Blum geboren. Sein Vater Leopold Blum (Lebensdaten unbekannt) arbeitet als Kaufmann und Landwirt. Ende der 1870er Jahre zieht Heinrich nach Wien, um dort von 1880 bis 1882 Schauspielunterricht zu nehmen. Während dieser Zeit verdient er sein Geld durch journalistische Arbeiten. Unter dem Pseudonym Henriette Namskilg schreibt er für die Wiener Hausfrauen Zeitung. Neben Wien lebt Glücksmann auch einige Zeit in Ungarn, wo er Redaktionsarbeiten für das Politische Volksblatt Budapest verrichtet.

1888 erscheint das erste von ihm verfasste Drama namens Therese. Ende der 1880er Jahre ist er wieder in Wien und schreibt für einige der bedeutendsten Tageszeitungen Österreichs, wie die Wiener Allgemeine Zeitung oder die Neue Freie Presse.  Zur selben Zeit beginnt er seine Arbeit als Lektor am Deutschen Volkstheater, die er bis 1935 ausführt. Ab dem Jahr 1910 ist er dort Dramaturg und verhilft Stücken von Arthur Schnitzler (1862–1931), Stefan Zweig (1881–1942) und Karl Schönherr (1867–1943) zu großem Erfolg. 1895 heiratet er Helene Rechnitz (1869/72–?), mit der er vier Söhne bekommt. Von 1900 bis 1917 agiert Glücksmann als Chefredakteur der Zeitschrift Der Zirkel, die von den Freimaurern herausgegeben wird und den Idealen von Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Humanität verpflichtet ist. Er selbst ist der Freimaurerloge Humanitas zugehörig, ist Mitglied des Schriftstellervereins Concordia und Funktionär des Deutsch-österreichischen Bühnenvereins. In seinen Publikationen erinnert er an verstorbene Künstler*innen wie den befreundeten Schauspieler Josef Kainz (1858–1910), um diese vor dem gesellschaftlichen Vergessenwerden zu bewahren. Als bekennender Pazifist setzt sich Glücksmann für Frieden sowie Humanität ein und arbeitet eng mit der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843–1914) in ihrer Friedensgesellschaft zusammen. Aufgrund seiner außerordentlichen Arbeiten erhält Glücksmann 1927 den Ehrentitel Professor und wird 1933 zum Bürger von Wien ernannt. Im Zuge dessen wird eine von Nicolaus Koni (1911–2000) geschaffene Büste mit Glücksmanns Antlitz enthüllt. Diese gilt heute allerdings als verschollen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich flüchtet er 1941 mit seiner Frau nach Argentinien, wo er am 1. März 1943 im 80. Lebensjahr in Buenos Aires verstirbt. 

Was bleibt?

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Heinrich Glücksmann war ein Allround-Talent, sehr erfolgreich und erfreute sich großer Beliebtheit, vor allem in der Wiener Theaterszene – und er war Jude. Eine Tatsache, die die Nationalsozialisten zum Anlass nahmen, ihm nicht nur seine Freiheit, seine grundlegenden Menschenrechte und seine Heimat zu nehmen, sondern auch seinen Platz im kollektiven Gedächtnis. Noch im Jahr 1933 wurde er zum Bürger der Stadt Wien ernannt, die zweithöchste Auszeichnung, die man für besondere Dienste erhalten kann. Aufgrund dieser Ehrung wurde der Bildhauer Nikolaus Koni beauftragt, eine Büste mit Glücksmanns Gesicht anzufertigen, die dann im Deutschen Volkstheater ausgestellt wurde, wo er bis 1935 als Lektor und Dramaturg tätig war. Heutzutage gilt die Büste als verschollen, und man kann nur spekulieren, was mit dieser passiert und wo sie schlussendlich gelandet ist.

Der „Anschluss“ im März 1938 hatte für Heinrich Glücksmann drastische Auswirkungen und Konsequenzen. Unter anderem folgte in diesem Jahr die Delogierung der Familie Glücksmann aus ihrer Wohnung in der Auhofstraße. Viele Kolleg*innen Glücksmanns verließen Wien und emigrierten in andere Länder, so wie auch sein jüngster Sohn Hans Karl und dessen Familie, die 1939 über Großbritannien weiter nach Argentinien flüchteten. Glücksmann und seine Frau Helene konnten ihnen erst im Jahr 1941 folgen. Über die Flucht gibt es keine genauen Informationen. Heinrich Glücksmann starb mit 79 Jahren am 1. März 1943 im argentinischen Exil in Buenos Aires. Trotz seiner Fülle an Werken, seinem damaligen Einfluss und seiner Bedeutung in der Theaterwelt wird an Glücksmann kaum erinnert. Die Spuren Glücksmanns lassen sich heute lediglich in den in Archiven bewahrten Korrespondenzen und alten Zeitungsartikeln finden.