Wien, 12. Juli 1935

Frauen erobern die Männerdomäne Regie
brillantes Nachwuchstalent wurde entdeckt

Ein Porträt der vielversprechenden Nachwuchsregisseurin
Henny Pia Herzer von Isabelle Wirth

Nicht nur Tochter von …

Es wäre leicht zu behaupten, dass Henny Pia Herzer als die im Jahr 1915 geborene, einzige Tochter des Librettisten Ludwig Herzer und Nichte der Komponistin Camilla Frydan das musikalische Talent in die Wiege gelegt wurde. Die artistische Ausdrucksform ihrer Wahl liegt nicht in der Welt der Musik, sondern als angehende Regisseurin am Theater. Denn obgleich man Herzers Gegenwart nicht untrennbar von ihrer Herkunft ansehen kann, sollte sie auf keinen Fall auf ihre Familie reduziert werden. Dafür ist sie viel zu talentiert und selbstbewusst. Sie steht mit beiden Beinen als visionsstarke Regiestudentin des Schauspiel- und Regieseminars Schönbrunn auf, vor und hinter der Bühne und ist ihren männlichen Kommilitonen somit in nichts unterlegen.

Dass sie sich in dieser Männerdomäne der Regiewelt durchsetzt, liegt nicht nur an ihrem Charme oder ihrer Professionalität, sondern auch an ihrem künstlerischen Talent sowie bewussten Einsatz der Ellenbogentaktik, wenn benötigt. In der schaffenslustigen Atmosphäre des Schauspiel- und Regieseminars Schönbrunn macht es aber eher den Anschein, dass das gar nicht notwendig ist. Herzer wird von allen respektiert und gemocht. Ihre Persönlichkeit lässt sich auch in der von ihr inszenierten Aufführung des Curt-Goetz-Stückes Hund im Hirn erkennen. 

Die Frau hinter dem Stück

Das direkte Resultat der Premiere des Stückes Hund im Hirn waren grotesk verzogene Gesichter, schwimmend in einem Meer aus Lachtränen und ein schier endloser Applaus. Die Stimmung im Publikumsraum war so heiter, dass man annehmen muss, dass das Publikum mit neu antrainierten Lachmuskeln nach Hause ging. Es ist nicht zu verdenken, dass ihr Name bald im gleichen Atemzug mit bestehenden Regiegrößen unserer Zeit genannt wird. Da fällt es schwer zu glauben, dass das Nachwuchstalent erst zwanzig Jahre alt ist, nur ein Jahr zuvor ihre Ausbildung anfing und sich noch inmitten dieser befindet. Im nächsten Jahr wird sie eine vollständig ausgebildete Regisseurin sein, die das benötigte Potenzial hat, in allen Theatern dieser Stadt Fuß zu fassen und das Publikum weiter mit ihren Werken zu unterhalten. Immerhin hat Herzer ein großes Repertoire an Fähigkeiten und die leider recht seltene Chance auf eine Karriere, die sonst oft nur ihren männlichen Kommilitonen vorbehalten ist.

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Vom Geschlecht unabhängig

Herzer tritt nicht nur in ihrer Position als talentierte Regiestudentin auf, sondern auch als Frau in den Künsten und erinnert uns so daran, dass Attribute wie Fleiß, artistische Integrität und eine ordentliche Portion Humor keineswegs geschlechterabhängig sind. Aber auch wenn der Frauenanteil am Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn erschreckend klein ist, sollte erwähnt werden, dass es hier einige einflussreiche Dozentinnen gibt, wie die Schauspielerin Margit von Tolnai oder die Germanistin Gertrud Lasch. Herzer hat ebenfalls ein paar wenige weibliche Kommilitoninnen, die Regie studieren. Die erste davon war die Amerikanerin Beverly Wright.

Große Zukunft

Es bleibt zu hoffen, dass das Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn und die gesamte Theaterbranche ihre Pforten für weitere Künstlerinnen öffnen, da Herzer der lebende Beweis dafür ist, dass Frauen gleich talentiert sind wie Männer, dasselbe Arbeitsethos besitzen und einen ganzen Theatersaal mit ihren Inszenierungen unterhalten können. Wenn man die Regiestudentin bei ihrer Arbeit beobachtet, kommt ihr wachsames Wesen immer wieder zum Vorschein und ihre Freude am Schaffen bringt ihre intelligenten Augen zum Leuchten. Henny Pia Herzer ist somit definitiv ein Name, den man sich merken sollte. 

„Sehen Sie, wenn Sie jung sind, dann ist alles spaßig und nichts wirklich tragisch.“ 

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Henny Pia Herzer 

Henny Pia Herzer

geb. 11.7.1915 in Wien 

gest. 7.3.2004 in Melbourne

Henny Pia Herzer wird am 11. Juli 1915 als einziges Kind des Librettisten Ludwig Herzer (1872–1939) und dessen Frau Ella (geb. Königsberger, 1882–1958) in Wien geboren. Früh erkennt sie ihr künstlerisches Talent und will dieses durch ein Regiestudium am renommierten Max Reinhardt Seminar bekräftigen. Ihr Vater ist gegen ihre Studienwahl und will ihr diese verbieten, woraufhin Henny von zuhause wegläuft.

Am 1. Oktober 1936 wird sie durch ihre Regiearbeit Mitglied des Ringes Österreichischer Bühnenkünstler und bestätigt diese am 6. Oktober 1936 durch die Prüfung zur Regisseuranwärterin. Bereits 1935 wirkt sie in verschiedenen Produktionen mit, wie der Inszenierung Vom Konzertlied zum Schlager, welche in Koproduktion mit ihrer Tante Camilla Frydan im Wiener Frauenclub aufgeführt wird. Im selben Jahr führt Henny Regie bei dem Stück Hund im Hirn von Curt Goetz (1888–1960) und erhält das Kompliment der „sehr flotten Inszenierung“ und des „angemessenen Umgang[s] mit dem galanten Zeitalter“. In den nächsten Jahren arbeitet sie an verschiedenen Theatern wie dem Theater an der Josefstadt, muss dort aber teilweise ein Pseudonym verwenden, um überhaupt noch ihrem Beruf nachgehen zu dürfen. 

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Am 8. August 1938 flüchtet Henny illegal mit ihrem Verlobten Hans Egon Arnheim (1885–1945) nach St. Gallen in die Schweiz. Ihre Eltern folgen ihr Anfang Dezember 1938. Ihr Vater Ludwig stirbt nach fünf Monaten im Exil und ihre Mutter kehrt daraufhin nach Wien zurück. Hennys Schweizer Aufenthaltsgenehmigung endet mit Mai 1939, weshalb sie am 28. Juni desselben Jahres nach Shanghai emigriert, wo sie an einem Theaterstück der American Dramatic Society mitwirkt. Während der ersten Kriegsjahre lebt sie in prekären Umständen, erschwert durch die Spielsucht ihres Partners Arnheim. Henny trennt sich von ihm und trifft auf ihre Jugendbekanntschaft Fritz-Peter Bauer (?–1957), den sie 1941 heiratet. Ab dem Jahr 1948/1949 arbeitet Henny als Krankenschwester in einem Hospital für Flüchtlinge und wird von einem Arzt schwanger.

Die Bauers emigrieren 1949 nach Melbourne, wo Henny ihre Tochter Linda auf die Welt bringt, die nach fünf Wochen verstirbt. In Australien gründet das Paar eine eigene Beleuchtungsfirma namens Rite Lite, die bis heute sehr erfolgreich ist. Am 6. Jänner 1956 wird ihr Sohn Ronald Louis Bauer geboren, wobei Hennys Ehemann aufgrund von Zeugungsunfähigkeit nicht der Vater sein kann. Im April 1957 stirbt Fritz-Peter Bauer. Zwanzig Jahre später steigt Henny mit ihrem Sohn in das Juweliergeschäft Klepner’s – Fine Antique Jewellery & Valuers ein, in dem Ronald heute noch als Direktor tätig ist. Henny Pia Herzer stirbt am 7. März 2004 in Melbourne. Sie wird 88 Jahre alt.

Was bleibt?

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Henny Pia Herzer ist eine der Protagonist*innen der Ausstellung „Max Reinhardt Seminar 1928 bis 1945“ von Peter Roessler im heutigen Max Reinhardt Seminar. Hier wurde erstmals in Österreich an ihr Leben als Regiestudentin in den 1930er Jahren in Wien erinnert. Über die gewaltsame Vertreibung und Exklusion ab März 1938 erzählte sie im Alter von circa achtzig Jahren in einem neunzigminütigen Interview der Shoa Foundation:

„Aber davor wurde es sehr unbequem in Wien. Und sie hatten diese wundervolle Idee, die Juden die Straßen schrubben lassen. Sie holten sie aus ihren Häusern und ließen sie den Gehsteig schrubben. Oder sie brachten sie zu den Parteibüros, und du musstest dort den Boden schrubben. Und eines Tages kamen sie zu uns nachhause und wollten meine Eltern und mich mitnehmen. Und mein Vater sagte, dürfte ich einen anderen Mantel anziehen? Und er nahm seinen anderen Mantel, mit all seinen Orden vom Krieg. Und in diesen Tagen waren sie noch nicht so schlimm wie später. Sie ließen meine Eltern gehen, aber ich musste bleiben. Also, der SA-Mann dort sagte, schau, schrubbe den Boden.

Ich sagte, mir macht die Arbeit nichts aus, aber ich habe das noch nie davor gemacht. Wenn Sie mir zeigen, wie es geht, würde ich das sehr gerne machen. Und dieser dumme Mann ging auf seine Knie und begann zu schrubben. Und er sagte, siehst du? Ich sagte, ich habe es immer noch nicht verstanden. Können Sie mir noch mehr zeigen? Und ich ließ ihn den ganzen Boden dort schrubben und kicherte im Inneren. Aber das Tragische war, im nächsten Zimmer war ein alter Mann, ein alter Jude und er weinte und schluchzte.

Und ich sagte zu ihm, um Himmels Willen. Sei still. Lächle. Zeige ihnen nicht, dass du – aber er war so beunruhigt. Als der Boden fertig war, sagte er, jetzt kannst du die Fenster putzen. Ich sagte, dass ich nur gesehen habe, wie unsere Haushälterin die Fenster geputzt hat. Sie hatte einen Eimer und spezielle Seife. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich zuhause anrufe und ihr sage, dass sie die Sachen bringen soll? Er sagte, nein. Also rief ich an – ich wusste, dass sie die Person war, die die Nazis holte. Sie erzählte ihnen, dass wir kommunistische Menschen in unserem Haus hatten.

Also sagte ich zu ihr, Kathi, könntest du bitte mit einem Eimer und allem zu dem Büro hier kommen? Und ich ließ sie alle Fenster putzen. Also machte ich nichts. Und dann, als – und sie waren sehr höflich zu mir. Und als ich nachhause kam, aßen wir zu Abend. Und ich sagte zu meinen Eltern, so dass sie es hörte, und wisst ihr, was diese netten SA-Männer zu mir gesagt haben? Leute, die andere der Lüge bezichtigt haben, werden eine sehr schwere Strafe erhalten. Und diese arme Frau ist halb gestorben, als sie das gehört hat. Sehen Sie, wenn Sie jung sind, dann ist alles spaßig und nichts wirklich tragisch.“

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