Wien, 15. Mai 1925

Ein Tausendsassa und sein
beruflicher Fleckerlteppich

Ein Bericht von Isabella Gstättner

Unsere Reporterin Isabella Gstättner traf das Ausnahmetalent Oscar Friedmann vor seinem ehemaligen Stammlokal, dem vor der Jahrhundertwende angesagten Intellektuellen-Treff Café Griensteidl. Sie spazierten dann zum Café Central, wo die Literaten sich seit der Schließung des Griensteidl gerne treffen. Bei Melange und Mehlspeise sprach man über den von Friedmann erfolgreich geführten Wiener Verlag und das Intime Theater im Nestroyhof. Besonders stolz erzählt Friedmann von seiner erfolgreichen Zeitungsrevue Die große Trommel, die vor einem Monat im Modernen Theater Premiere feierte. 

Ganz Wien kennt Goethe – also den Bühnenschauspieler Egon Friedell. Dieser feierte große Erfolge, unter anderem als Hauptdarsteller in seinem und Alfred Polgars Stück Goethe im Examen, das 1908 im Kabarett Fledermaus uraufgeführt wurde. Doch sein Bruder Oscar Friedmann, der seine Fühler in unterschiedlichste künstlerische und wirtschaftliche Richtungen ausstreckt, hatte in Sachen Bekanntheit eine Zeit lang die Nase vorne. Oscar Friedmann schaffte seinen literarischen Durchbruch 1905 mit dem Lustspiel Das Dreieck, das im Carltheater in der Leopoldstadt uraufgeführt wurde. Allein in Wien wurden hunderte von Friedmann geschriebene Stücke aufgeführt. Zeitgleich hatte er die literarische Leitung im Intimen Theater inne. Begonnen hat alles im legendären Café Griensteidl, Ecke Michaelerplatz/Herrengasse, das sich Ende der 1880er Jahre als Stammlokal der Jung-Wiener Literatur etablierte, wo neben Oscar Friedmann und Egon Friedell auch namhafte Schriftsteller wie Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal verkehrten. Aufgrund der Décadence des exklusiven Bohème-Publikums ist es spöttisch als „Café Größenwahn“ bekannt.

Literatur in all ihrer Vielfalt: der Wiener Verlag und das Intime Theater

Als sein Vater starb, wollte Friedmann sein Erbe sinnvoll investieren: Er richtete den Wiener Verlag neu ein, der bereits seit den 1870er Jahren als Firma L. Rosner zahlreiche Werke verlegt hat. 1905 – zwei Jahre nachdem Friedmann aus dem Verlag ausschied – witterte der engagierte Literaturliebhaber die nächste Gelegenheit: Er trug die literarische Verantwortung und wurde Co-Direktor im auf Anregungen vom Journalisten Felix Fischer gegründeten Intimen Theater, das rasch eine literarische Kleinbühne von Rang wurde. Hier kollaborierte er mit seinem Bruder Egon, der ab 1907 im Intimen Theater als Dramaturg tätig war.

Oscar Friedmann schreibt des Weiteren etliche Schwänke und Libretti, unter anderem mit seinem Schwager Ludwig Herzer – beispielsweise die Operette Die goldene Tochter. Im März feierte die Operette Die Faschingshochzeit, deren Libretto von Friedmann und dem Schauspieler Fritz Lunzer stammt, ihre Erstaufführung im Stadttheater Klagenfurt. Zuvor wurde die Operette schon im Wiener Carltheater inszeniert.

Renaissance der Revue: Die große Trommel

Vor wenigen Wochen feierte die Zeitungsrevue Die große Trommel von Oscar Friedmann, Felix Fischer und Camilla Frydan im Modernen Theater ihre sensationelle Uraufführung. In dieser den Zeitgeist treffenden Revue transferierten die Autoren den Erfolg einer modernen Zeitung ins Theater. Sie zeigen Sensationen, unterschiedliche Rubriken, Kapitel aus einer Romanfortsetzung, Redaktionssitzungen, Recherchen – schlicht: alles, was man sich unter Zeitungen und ihrem Drumherum nur so vorstellen kann. Die Kritiker waren begeistert von der Revue, immer wieder wurden ihre Novität, Originalität und ihr Witz betont. Die Zeitung Die Stunde schrieb dazu: „Endlich wieder einmal etwas Neues.“ Des Weiteren bezeichnete sie die Aufführung als Sensationserfolg und vermerkt, dass es Friedmann und Fischer gelungen sei, „das bereits abgenützte Genre der Revue neu zu beleben“. Auch die Illustrierte Kronen Zeitung hebt hervor: „Der stürmische Jubel nach allen Bildern kennzeichnete den ehrlichen Erfolg der Novität.“

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Abermals stellt Oscar Friedmann mit seinem jüngsten Erfolg unter Beweis, dass er kein neues Genre oder Berufsfeld scheut und versetzt damit die Wiener Theater- und Literaturszene immerfort in Staunen. Es stellt sich die Frage: Woran wagt er sich als Nächstes? Die Idee eines Prominenten-Almanachs beschäftigt den Schriftsteller, doch seine genauen Pläne verrät er noch nicht.

Oscar Friedmann 

geb. 13.7.1872 in Wien

gest. 3.11.1929 in Wien

Oscar (auch Oskar) Friedmann wird am 13. Juli 1872 in der Schottenfeldgasse 1, 1070 Wien als erster Sohn des Seidenwarenfabrikanten Moritz Friedmann (1842–1891) und Caroline (geb. Eisenberger, 1853–1933) geboren. Seine Geschwister sind der berühmte Schriftsteller und Schauspieler Egon Friedell (1878–1938) und die Malerin Elsa Friedmann (1884–1968). Nachdem Oscar Friedmann das Gymnasium absolviert hat, studiert er an der Universität Wien. Anstatt die Fabrik seines Vaters zu übernehmen, entscheidet er sich, einen kreativen Berufsweg einzuschlagen. Er schließt sich bald dem Kreis der Wiener-Jung-Literaten an, die sich regelmäßig im Café Griensteidl treffen. 

1899 heiratet er Blanche Schnitzer (Lebensdaten unbekannt) – die Ehe hält drei Jahre. Im selben Jahr gründet Friedmann mit dem geerbten Vermögen des Vaters aufs Neue den Wiener Verlag, in welchem Werke von berühmten Schriftstellern der Wiener Moderne wie Felix Salten (1869–1945) oder Robert Musil (1880–1942) erscheinen. Im September 1900 sind bereits 20 Titel, darunter Essays, Romane, Novellen und Theaterstücke im Wiener Verlag (Buchhandlung L. Rosner-Sep.-Cto.) veröffentlicht worden. 1903 scheidet Friedmann aus dem Verlag aus. 

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1905 wird das Intime Theater im Nestroyhof in Wien eröffnet, für das Oscar Friedmann die künstlerische Verantwortung trägt. Das Theater entwickelt sich zu einer angesehenen literarischen Kleinbühne, die wenig später das anspruchsvolle Programm in ein Unterhaltungsprogramm umwandelt. 1907 beantragt Friedmann beim Magistrat der Stadt Wien eine Theaterkonzession für den Betrieb. Besondere Bekanntheit erlangt Friedmann durch sein ebenso 1905 erscheinendes Lustspiel Das Dreieck, das im Carltheater in der Leopoldstadt uraufgeführt wird.

1910 heiratet Friedmann erneut. Seine zweite Ehefrau, die Komponistin Camilla Friedmann (geb. Herzel; Pseudonym Herzer, später Frydan; 1887–1949), vertont einige seiner Stücke. Ein Jahr nach der Hochzeit bringt Frydan ihren gemeinsamen Sohn, Hans Henry Frydan (geb. Friedmann; 1911–1998), auf die Welt. Die Familie lebt bis Oscars Tod, bzw. Camillas und Hans’ Flucht vor den Nationalsozialisten, gemeinsam in der Porzellangasse 25 in Wien-Alsergrund. Am 3. November 1929, im Alter von 57 Jahren, stirbt Oscar Friedmann.

„Oskar Friedmann [war] ein stets liebenswürdiger, heiterer, gütiger Mensch, der nicht ohne Eigenart war […].“ 

Wiener Zeitung, 5.11.1929

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Was bleibt?

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Am 3. November 1929 starb Oscar Friedmann unerwartet nach einer eigentlich harmlosen Hühneraugen-Operation an einer Blutvergiftung im Wiener AKH. In seinen letzten Tagen pflegte ihn seine Ehefrau Camilla aufopferungsvoll. Oscar Friedmann war ein künstlerisches Multitalent, daher ist es nicht überraschend, dass viele Zeitungen in ausführlichen Nachrufen den Tod von Friedmann bedauerten und seine Tätigkeiten in der Kulturszene würdigten. Die Wiener Zeitung schrieb: „Mit Oskar Friedmann ist ein stets liebenswürdiger, heiterer, gütiger Mensch, der nicht ohne Eigenart war, gestorben.“ Die Stunde betonte in ihrem Nachruf die besondere Beziehung zwischen Oscar und seinem berühmten Bruder Egon: „Er war in Wiener Theaterkreisen sehr bekannt, denn er ist vor allem der Bruder Egon Friedells gewesen. Die beiden sahen einander ähnlich wie eben zwei Brüder. Oskar war der ältere, aber Egon wuchs ihm frühzeitig über den Kopf. Er wurde der berühmtere und Oskar hat das immer ohne Neid anerkannt.

Egon Friedell prangte als das Genie im Schaukasten der Familie. Vor dreißig Jahren hatte Oskar die größeren Chancen.“ Neben Egon Friedell hinterließ Oscar Friedmann seine Ehefrau Camilla und seinen siebzehnjährigen Sohn Hans Henry, der seinem Vater in die künstlerischen Fußstapfen folgte und sich dem Film widmete.

Ein großes Anliegen von Friedmann war es, Personen aus seinen künstlerischen Kreisen zu würdigen und diese in einem Prominenten-Almanach festzuhalten, während sein eigenes Leben und Schaffen bedauerlicherweise verblichen ist. Aufgrund seines frühzeitigen Todes konnte Friedmann dieses Buch nicht fertigstellen, und seine Frau Camilla beendete dieses Herzensprojekt ihres Mannes. Camilla lebte nach Oscars Tod für eine kurze Zeit in Berlin, bevor sie mit ihrem Sohn Hans Henry 1939 aus Wien über die Schweiz in die USA emigrierte.

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Egon Friedell entschied sich im Gegensatz zu seiner Schwägerin gegen eine Flucht ins Exil. Für ihn war es unmöglich, sein geliebtes Wien und seine Wohnung, in der er sein halbes Leben verbracht hatte, zurückzulassen: „Ich gehe nicht (…), was soll ich denn in einem anderen Land? Da bin ich doch nur ein Schnorrer und eine lächerliche Figur.“ Nur wenige Tage nach dem „Anschluss“ am Abend des 16. März 1938 läuteten zwei SA-Männer an seiner Wohnungstür in Wien-Währing. Seine Haushälterin öffnete die Tür und die Nationalsozialisten fragten: „Wohnt da der Jud’ Friedell?“ Friedell hörte diese Konversation. Daraufhin soll er aus dem Fenster seines Schlafzimmers im dritten Stock in den Tod gesprungen sein. In der Gentzgasse 7 erinnert heute eine Gedenktafel an dieses tragische Schicksal. In der Porzellangasse 25 in Wien-Alsergrund – Oscar Friedmanns letzter Wohnadresse – befindet sich hingegen keine Gedenktafel und es gibt auch sonst im öffentlichen Raum keine Spuren des damals bekannten Bühnenschriftstellers.