Wien, 14. Juli 1933  

Der Kampf für eine gerechtere Welt. Die antifaschistische Schriftstellerin Else Feldmann

Vereinsabend der Vereinigung der sozialistischen Schriftsteller – Eine Reportage über die Vorlesung von unserer Korrespondentin Laura Sarochova 

Am gestrigen Donnerstagabend hat sich für unsere Reporterin die Gelegenheit ergeben, nicht nur den Dichter Theodor Kramer und die Schriftstellerin Adele Jelinek zu treffen, sondern auch die bekannteste und erfolgreichste Journalistin und Schriftstellerin der Gegenwart: Else Feldmann!

Vom Theater zum Journalismus

Ich befinde mich momentan im Vorraum des Saals der Union der Bühnenarbeiter, wo heute Abend eine Vorlesung der sozialistischen Autoren stattfindet. Vor Beginn der Veranstaltung treffe ich Else Feldmann zum Gespräch. In dieser unbeständigen politischen Situation sind Feldmanns Romane in jeder Buchhandlung zu finden und die Themen ihrer Arbeit sind heutzutage aktueller denn je.

Vor siebzehn Jahren feierte sie an der Wiener Volksbühne als Dramatikerin ihr Debüt mit dem Stück Der Schrei, den niemand hört. Trauerspiel aus dem Ghetto in vier Akten. Empathisch und kenntnisreich stellte Feldmann in diesem Stück ihre sozialen und politischen Ansichten vor. Zur Aufführung anderer Werke ist es bisher noch nicht gekommen, doch Feldmann verrät uns, dass die Arbeit an weiteren Dramen begonnen hat. Wir dürfen demnach auf eine neue Premiere eines Feldmannschen Stückes gespannt sein, auch wenn die Autorin betont, dass die publizistischen und schriftstellerischen Tätigkeiten für Zeitungen sowie Zeitschriften im Hinblick auf die aktuelle politische Situation für sie höchste Priorität haben. 

Sozialkritik in jedem Wort

Wir erinnern uns an ihre brisanten Reportagen Bilder vom Jugendgericht aus den Jahren 1917/18. Ihr Engagement für eine gerechtere Welt und den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit prägt ihre gesamte Arbeit. So bietet ihr erster Roman Löwenzahn. Eine Kindheit aus dem Jahr 1921 (eine neue Ausgabe erschien 1930 unter dem Titel Melodie in Moll) einen Einblick in das Leben der Frauen im proletarischen Milieu Wiens. Auch in ihrem nächsten Roman Der Leib der Mutter steht die Not von Frauen im Zentrum. Dieses großartige Werk wurde 1924 zunächst als Fortsetzungsroman in der Arbeiter-Zeitung veröffentlicht und liegt nun seit zwei Jahren in Buchform vor. 

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Eine Arbeit aus dem letzten Jahr – die Kurzgeschichte Letzte Küsse, die im Preisausschreiben der Arbeiter-Zeitung den dritten Preis gewonnen hat – beschäftigt sich ebenfalls mit aktuellen sozialen Themen wie der grassierenden Tuberkulose. Momentan arbeitet Feldmann an einem neuen Fortsetzungsroman. Dieser beschreibt das Leben zweier Schwestern und deren alltäglichen Lebenskampf. Allerdings dürfen wir nicht ihre publizistischen Tätigkeiten vergessen, denn sowohl in den Feuilletons als auch in den Rezensionen oder kurzen Erzählungen widmet sich Feldmann kontinuierlich den Themen unserer Zeit und beschreibt Ideen für eine neue, gerechtere Welt.  

Vereine als Treffpunkt für Intellektuelle

Was für Else Feldmann ebenfalls wichtig ist, ist der lebendige Austausch mit den engagierten Schriftstellern unserer Zeit. Mit 38 Jahren war sie Gründungsmitglied der österreichischen Fraktion des französischen Vereins Clarté, einer von Henri Barbusse und Romain Rolland 1919 gegründeten Vereinigung von Intellektuellen zur Bekämpfung des Krieges. Anfang des Jahres hat sie mit weiteren Autoren die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller gegründet. Hier wollen sie allen Autoren, deren Weltanschauung der Sozialismus ist, einen Platz geben, an dem sie sich geistig und materiell austauschen sowie wechselseitig fördern können, damit solche Abende wie heute möglich werden.

Zum Schluss können wir der geschätzten sowie erfolgreichen Journalistin und Schriftstellerin Else Feldmann weiterhin nur viel Erfolg für ihre zukünftige Arbeit wünschen, und wir freuen uns schon sehr auf ihren neuen Fortsetzungsroman Martha und Antonia, der ab Herbst in der Arbeiter-Zeitung erscheinen wird.

„Aber was ist am Schluß aller dieser neuen Dinge? Ach..“ 

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Else Feldmann, Martha und Antonia

Else Feldmann 

geb. 25.2.1884 in Wien 

gest. 14./17.6.1942 im Vernichtungslager Sobibór

Else Feldmann wird am 25. Februar 1884 in Wien in die Familie des Kaufmanns und Händlers Ignatz Feldmann (1842/48–1935) und seiner Frau Fanny (geb. Pollak, 1859–1940) als zweites von sieben Kindern geboren. Als ihr Vater seine Arbeit als Handelsvertreter verliert, bricht sie ihre Ausbildung an einer Lehrerinnenbildungsanstalt ab. Um ihre Familie zu unterstützen, arbeitet sie im Alter von nur sechzehn Jahren in einer Fabrik. Schon im Jahr 1904 wird die junge Else Feldmann in den Kreis um den jüdischen Sozialreformer Josef Popper-Lynkeus (1838–1921) eingeführt, in dem sie Arthur Schnitzler (1862–1931), Otto Neurath (1882–1945) und Stefan Zweig (1881–1942) trifft. Die Ideen von Popper-Lynkeus für eine gerechtere Gesellschaft prägen entscheidend Feldmanns Ansichten, die sich in ihren literarischen und journalistischen Tätigkeiten widerspiegeln. 1908 verfasst sie erstmals Kurzgeschichten und journalistische Beiträge, die ab 1912 regelmäßig in den Zeitungen Der Abend, Der Tag, Arbeiter-Zeitung und Die Frau publiziert werden. Ihre sozialkritischen Artikel befassen sich mit Kindernot, Jugendkriminalität und dem Leben in den Wiener Elendsbezirken.

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Am 12. Februar 1916 feiert ihr einziges vollständig überliefertes Stück Der Schrei, den niemand hört. Ein Trauerspiel aus dem Ghetto Premiere an der Volksbühne in Wien. Für dieses Gastspiel wird aus Berlin die ehemalige Burgtheater-Schauspielerin Lia Rosen engagiert. Zwei weitere Stücke, Jazzmusik: Ballett der Straße und Der Mantel,sind lediglich fragmentarisch erhalten. 1921 erscheint ihr bis heute bekanntester Roman Löwenzahn. Eine Kindheit im Wiener Rikola Verlag. 

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Als Journalistin ist Feldmann seit den 1920er Jahren in den Vereinen Clarté und der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller tätig, wo sie sich gemeinsam mit ihren Mitstreiter*innen für eine gerechtere Welt einsetzt. Durch die zunehmenden Einschränkungen der Pressefreiheit sowie die strenger werdende Zensur verschlechtert sich die ökonomische Situation Feldmanns. 1938 werden ihre Werke von den Nationalsozialisten auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt, sodass sie nur noch wenige Möglichkeiten findet, ihre Texte zu veröffentlichen. Am 14. Juni 1942 wird Else Feldmann in das ostpolnische Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sie vom nationalsozialistischen Regime ermordet wird.

Was bleibt?

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Else Feldmann hatte zu Lebzeiten großen Erfolg, doch ebenso krisenhafte Lebensphasen. Als Schriftstellerin und Journalistin hat sie sich vor allem mit sozialen Thematiken auseinandergesetzt und Ideen formuliert, die zu einer gerechteren Welt beitragen sollten. Anders als ihre männlichen Kollegen richtete Feldmann in ihren Reportagen den Blick auf das Schicksal von Kindern, Müttern und Frauen. Dabei nahm sie eine bemerkenswerte Perspektive ein, die neben den äußeren Gegebenheiten in der Gesellschaft vor allem auf deren Auswirkungen auf die Psyche der Menschen fokussierte.

Ihre letzten Jahre in Wien waren besonders von ökonomischen, aber auch privaten Problemen gezeichnet. Die Publikationstätigkeit wurde gewaltsam eingeschränkt, ihre Werke verboten und zudem musste sie sich um ihre kranke Mutter sowie den kriegsversehrten Bruder kümmern. 1933 gründete sie mit anderen Autor*innen die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller, die mit engagierten antifaschistischen Aktionen wie Vorlesungen auf sich aufmerksam machte. Schon ein Jahr später wurde diese Vereinigung von den Austrofaschisten aufgelöst und verboten. Im März 1934 versuchte Else Feldmann im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange ihren letzten Roman Martha und Antonia zu publizieren, doch diese Anfrage wurde abgelehnt. Nachdem ihre Werke ab März 1938 auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ standen, war ihre schriftstellerische Karriere zu Ende.

Im März 1938 wurde ihrer Mutter und ihr die Wohnung gekündigt. Nach der Delogierung am 22. Juni 1938 waren die beiden Frauen gezwungen, permanent ihren Wohnsitz zu wechseln. Am 14. Juni 1942 wurde Feldmann von der Gestapo festgenommen und in das ostpolnische Vernichtungslager Sobibor deportiert. Aufgrund der schlechten Quellenlage gibt es kein genaues Sterbedatum, ihr Tod wird mit dem 14.–17. Juni 1942 datiert. Else Feldmann starb ledig und kinderlos als eines der unzähligen Opfer des Holocaust.

An dieser Stelle bedanke ich mich bei Sofia Rübig, die mich 
auf Else Feldmann aufmerksam gemacht hat.